
Es war unumgänglich. Der würzige Geruch von Zedernholz ließ mich jedes Mal an das Schicksal meiner verbrannten Schwester denken.
Argwöhnisch beobachtete ich von dem seitlichen Balkon des Thronsaals aus, wie König Benedict mit siegreicher Miene seine Angebetete herein und direkt auf den kristallenen Thron zu führte. Mit fest aufeinandergebissenen Zähnen erwartete ich die Woge seines Aromas, das mich mit einer mir bestens bekannten Wucht in einen Flashback zwingen würde. Zu meinem Erstaunen blieb ich von seinem Odeur verschont, der mich noch am Tag seiner Abreise leidvoll umgehauen hatte. Zwar nahm ich einen dezent rauchigen Duft wahr, dieser war jedoch nur annähernd vergleichbar mit dem, was mir die traumatischen Kindheitserinnerungen ins Bewusstsein gerufen hatte.
Die Soldaten, die den König und seine Begleiter eskortierten, verharrten mit respektvollem Abstand zur Empore des Throns und nahmen Haltung an. Aus allen Ecken des Kristallturms strömten Höflinge und Mitglieder des königlichen Rats herbei.
Mit Ungeduld erwartete ich, dass sie sich umwandte. Endlich glitt die Kapuze ihres weiten Umhangs von ihrem Kopf und entblößte ihr goldblondes Haar. Vikki drehte sich um und ließ den Blick über die Menge schweifen. Ich konnte nicht abschätzen, ob sie sich mit der Situation abgefunden oder todunglücklich war, ihr Gesichtsausdruck erschien entspannt.
Mir war zu Ohren gekommen, dass sich während der Reise etwas zugetragen hatte. Im Palast erzählte man sich vieles, insbesondere die Sklavinnen, die mit den Vollkommenen schliefen. Der Sohn des Königs soll dem Hof den Rücken gekehrt haben, hieß es. John Klyn war ab sofort Geschichte in der royalen Familie.
Ihre eisblauen Augen fanden mich in der schaulustigen Menge und ich versuchte von ihrer Miene abzulesen, wie es ihr erging.
Noch immer hallte ihr letzter Satz in meinem Gedächtnis nach: »Ich werde den König nicht heiraten!«
Doch nun stand sie mit ihm beim Thron, ihre Hand sanft auf seiner gebettet, keinen Funken Angst in den Augen, vertrauter mit dem Regenten, als sie es je war. Jegliche Abneigung gegen ihn schien verschwunden.
»Ich habe etwas zu verkünden!«, sprach König Benedict lautstark und seine tuschelnden Untergebenen verstummten unverzüglich.
Vikki lenkte ihre Aufmerksamkeit ebenfalls wieder auf ihn.
Interessiert hing ich an den Lippen des Vampirkönigs, wobei er die Kapuze seines Umhangs vom Schopfe zog und sein weißblondes langes Haar glatt strich.
»Viktoria und ich haben uns geeinigt, unsere Verlobung kundzutun!« Er sah sie strahlend an und erntete einen schüchternen Blick. Verdutzt beobachtete ich, dass er ihren Handrücken küsste und sie es geschehen ließ. Irgendetwas stimmte hier nicht!
Ein abartiger Gestank, von dem mir für eine Sekunde schwarz vor Augen wurde, lenkte mich von der Begebenheit im Thronsaal ab. Bevor ich begriff, weshalb mein Körper darauf reagierte, nahm ich das Brennen in meinen Handflächen wahr. Zedernholz! In dem Moment, in dem es mir dämmerte, tauchte Kronprinz Konstantin an meiner Seite auf. Er betrachtete mich blasiert von oben bis unten. Besser gesagt, er begaffte meine Brandnarbe, die wie ein Mahnmal meine rechte Gesichtshälfte bedeckte und sich von hier aus den Hals hinunter und auf den Arm entlangzog. Ich hielt den Atem an, um nicht weiter seinen Geruch zu inhalieren und zog mir die Haare ins Gesicht, um es zu bedecken.
Gewohnheitsgemäß tastete ich wie zur Beruhigung nach dem Medaillon an meinem Hals und rückte es an der Kette zurecht. Dann ballte ich die Hände zu Fäusten, da das Kribbeln sich verstärkte und auf meine Unterlippe überging. Während sein ungenierter Blick auf mir ruhte, steigerte es sich zu einem beständigen Pochen, bis es sich schließlich in ein lästiges Brennen verwandelte, welches sich von den Lippen aus in die Mundhöhle ausbreitete. Verzweifelt versuchte ich, meine Lippen zu befeuchten, doch mein Mund war zu trocken. Mich riss ein Film, der sich mir vor offenen Augen abspielte, in eine unkontrollierbare Retrospektive.
Mailins Schreie waren so schrill, dass sie mir durch Mark und Bein gingen. Gleichzeitig überzog die Feuersbrunst mein Gesicht und schien es schier auseinanderzureißen. Ich wollte aus dem eigenen Körper fliehen, vor der Ohnmacht des unsagbaren Schmerzes davonlaufen, der mich in Stücke zu reißen drohte und mich zu töten beabsichtigte. Die Flammen um mich herum züngelten an mir, bezweckten, mich zu verschlingen. Trotz der grausamen Pein wollte ich um jeden Preis zu meiner Schwester. Ich musste sie finden. Beißender Qualm schnürte mir die Kehle zu und brachte mich zum Husten.
Panikerfüllt keuchte ich und hielt mir die Hand vor den Mund. Der Schmerz ließ mich frei und ich bemerkte, dass ich aus meinem Flashback in die Realität zurückgekehrt war. Prinz Konstantins verdutzter Blick verwandelte sich in ein höhnisches Lächeln, daraufhin wandte er sich von mir ab und stieg die Stufen zum Thronsaal herunter. Der Hustenreiz ließ nach und ich schnappte die letzten Worte des Königs auf.
»Deshalb wird eines meiner neuen Gesetze sein, die Sklaverei zu verbieten und den Menschen ihre Rechte zurückzugeben!«
Ein Raunen und Tuscheln ging durch die Anwesenden, das sich zu einem wilden Durcheinander entwickelte.
Zunächst glaubte ich, den König falsch verstanden zu haben, doch der Reaktion seiner Gefolgschaft zu urteilen, schien diese ebenso verstört. Hatte er uns Sklaven alle freigesprochen?
»Eure Majestät? Was hat das zu bedeuten?!« Umgehend war der Kronprinz bei seinem Vater und starrte ihn ungläubig an.
Mir war es fast unangenehm, dass ich genauso fassungslos darüber war, wie der Prinz. Immerhin betraf es mich, als einer dieser Menschen, persönlich. Erst vor kurzem war ich von einem Sklavenhändler für Vikki gekauft worden. Ich hatte Glück, sie behandelte mich immer respektvoll und nahezu wie eine Freundin. Deshalb war es mir schleierhaft, wieso sie sich aus heiterem Himmel mit dem König vereinte. Der Herrscher, der zu feierlichen Anlässen ganze Wagenkolonnen von jungen Menschen ankarren ließ, um diese als lebende Mahlzeit an seine Gäste zu verfüttern. Der Monarch, dem unsere Menschenleben nichts bedeuteten.
Der Großteil der Anwesenden war aus anderen Gründen bestürzt über den Entschluss, denn annähernd jeder von ihnen war Sklavenbesitzer. Darin all ihre Arbeitskräfte und Blutwirte zu verlieren, sahen sie einen unzumutbaren Nachteil.
König Benedict schmetterte jegliche Diskussion ab und zog seinen Sohn stattdessen bei den Schultern an seine freie Seite.
»Des Weiteren habe ich beschlossen, dass es Zeit für persönliche Feierlichkeiten wird. Deshalb werden wir ab sofort Debütantinnen mit Heiratsabsichten begutachten. Prinz Konstantin soll sich nun endlich vermählen und mir Enkelkinder schenken, damit die Thronfolge gesichert ist!« Während der König sprach und dabei stolz die Schultern seines Sohnes massierte, riss dieser konsterniert die Augen auf.
Das Geschwätz wurde dadurch unterbrochen und die freudige Botschaft mit eifrigen Applaus gekürt.
»Noch heute finde ich mich mit dem königlichen Rat zusammen, um einige Veränderungen vorzunehmen und weiteres zu besprechen. Die Sklaven des Palastes mögen sich in einer Stunde im Thronsaal sammeln.« Es folgte eine Neuigkeit nach der nächsten.
Nervosität und Euphorie stiegen in mir auf, was erneutes Kribbeln meiner Lippen auslöste. Um es zu unterdrücken, atmete ich tief durch, wodurch das unliebsame Gefühl abklang.
Der Hofstaat schien genauso vor den Kopf gestoßen zu sein, wie ich es war, als König Benedict daraufhin die Versammlung auflöste und sich mit Vikki zusammen davonstahl. In dem Aufruhr bemerkte niemand, dass ich durch eine Seitentür in den Kristallturm schlüpfte und von hier aus die Wendeltreppe im Innern des glänzenden Turms als Abkürzung nach oben nahm. Noch vor dem Regenten und seiner Verlobten erreichte ich den Westflügel, der ihre Schlafgemächer beherbergte. Ich hoffte, dass sie hierher zurückkehrten. Die vor den Räumen positionierten männlichen Sklaven hatten keine Ahnung, was soeben im Thronsaal verkündet worden war. Deshalb störte sich niemand daran, dass ich wie sonst Vikkis Gemächer betrat, um hier auf sie zu warten. Doch als ich die schwere Doppeltür aufstieß, zuckte vor mir eine Gruppe fremder Menschen zusammen. Drei Knaben, ein Paar sowie ein Mädchen, das wie eine Mini-Version von Vikki aussah. Ohne Überlegung war ich mir sicher, dass ich vor ihrer Familie stand. Von Emily hatte ich bereits gehört und die Ähnlichkeit zwischen den restlichen Anwesenden war frappierend, da war es nicht schwer eins und eins zusammenzuzählen.
Wie um alles in der Welt hatte Vikki es geschafft, diese Menschen aus der Kolonie herauszuschleusen und herzubringen? Wusste der König überhaupt davon? Da sie sich hier versteckten, war ich mir ziemlich sicher, dass ihre Anwesenheit geheim gehalten werden musste. Eilig trat ich ein und schloss die Tür, ehe mir einer der Sklaven nachblicken und entdecken würde, was ich hier vorgefunden hatte.
»Ich bin Annie«, stellte ich mich leise vor, »Vikkis Sklavin.«
Ich erntete skeptische Blicke, deshalb erklärte ich weiter: »Verzeiht bitte, ich wusste nicht, dass sie Euch mitgebracht hat.«
»Vielleicht hat es einen Grund, weshalb sie ihr nichts von uns erzählt haben«, murmelte Emily, ohne sich von mir abzuwenden.
»Kann ich Euch etwas bringen? Etwas zu trinken? Habt Ihr Hunger?« Mit einem freundlichen Lächeln sah ich sie an.
»Essen die Vampire hier im Palast etwa?«, fragte der kleinste der Jungs.
Er brachte mich zum Schmunzeln: »Nein, sie trinken nur Blut – aber wir Menschen, die für sie arbeiten essen!«
Er schluckte, da ihm die Vorstellung dessen, was ich ihm verraten hatte, scheinbar nicht behagte. Aber so war es nun mal.
Plötzlich ruckelte die Tür und die goldene Klinke wurde heruntergedrückt. Ich hoffte, es gab keinen Ärger. Mit einem mulmigen Gefühl erblickte ich das weißblonde Haar des Königs. Zedernholz, ich erwartete seinen intensiven Geruch auf der Stelle, jetzt wo er eingetreten war und direkt vor mir stand.
Nichts.
Ein Hauch dezenter Würze flog vorüber, während er an mir vorbei schritt und mich verwundert ansah. Erleichterung überkam mich, da Vikki bei ihm war. Sie umarmte mich und drückte mich freudestrahlend an sich: »Hallo Annie!«
Nervös schaute ich über ihre Schulter hinweg auf den König, der mir den Rücken zugewandt hatte und zwischen uns und Vikkis Angehörigen stand, mit denen er ein lockeres Gespräch führte. Ich verstand die Welt nicht mehr. Warum war der tyrannische Regent so verändert?
Ungeduldig löste ich mich aus der Umarmung und sah Vikki prüfend an: »Was ist denn nur hier los?«
»Ich kann es dir nicht verraten, es wäre zu gefährlich für dich«, meinte sie und drückte sanft meine Hände, »aber es ist etwas Gutes!«
Ich nickte respektvoll, wohlwissend das Wort meiner Herrin nicht in Frage stellen zu dürfen. Auch wenn es ihr sicher nichts ausmachte, doch in Gegenwart des Königs wollte ich nicht unnötig auffallen.
»Bist du krank?«, fragte Vikki besorgt und betastete meine Hände.
Vor Aufregung war mir nicht aufgefallen, dass meine Handflächen brannten und heiß geworden waren. Stumm schüttelte ich den Kopf und konzentrierte mich darauf meine körperlichen Symptome unter Kontrolle zu bringen.
»Was geschieht mit den Sklaven des Palastes?«, wagte ich im Flüsterton an Vikki gerichtet, zu fragen.
Scheinbar nicht leise genug, denn die imposante Erscheinung unseres Herrschers drehte sich zu mir um. Ihn anzusehen verbat ich mir, seine Präsenz war einschüchternd, wenn auch auf irgendeine Weise anders als sonst.
»Wir werden die Sklaven ausreichend entlohnen für die Dienste, die sie bei Hofe geleistet haben. Es steht ihnen frei entweder zu gehen oder gegen einen Lohn weiterhin hier zu arbeiten. Ich rechne jedoch damit, dass viele von ihnen das Weite suchen werden.« Seine Erklärung hatte einen freundlichen Tonfall, doch ich wollte mich nicht in falscher Sicherheit wiegen und hielt den Blick gesenkt.
»Es steht auch dir frei zu gehen«, sprach er weiter.
Diese Information löste reinstes Gefühlschaos in mir aus. Wohin sollte ich denn gehen? Mein Leben lang war über mich bestimmt worden.
»Wir können deine Dienste im Palast im Augenblick nicht verlängern, aber ich biete dir eine andere Stellung an«, meinte König Benedict.
Irritiert schnellten meine Augen nach oben und direkt in Vikkis Gesicht. Wusste sie das? War das mit ihr abgesprochen? Sie schien nicht überrascht, was mir einen Stich versetzte.
»Einige unserer Ehrengardisten sind in den Kolonien in Patriam verblieben. Sie könnten durchaus deine Unterstützung gebrauchen. Die Menschen dort sollen auf das Leben im Königreich vorbereitet werden. Das Vertrauen zu jemanden ihresgleichen wird einfacher sein, als das zu den königlichen Soldaten. Du würdest Nova einen großen Dienst erweisen.« Ich hatte den Eindruck, er wollte mich mit Engelszungen überreden.
Verwundert sah ich den König an und erntete ein aufmunterndes Lächeln und auch Vikki schenkte mir einen ermutigenden Blick. Warum nur hatte ich das Gefühl, sie versuchten, mich loszuwerden?
»Was sagst du dazu, Annie?«, bohrte Vikki nach.
»Ja, Eure Majestät«, hörte ich mich nachgeben.

Ende der Leseprobe

Die Vampire von Nova: Schwelende Glut

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