
Meine Atmung ist schwer und angestrengt, während ich versuche, dieses Gefühl zu verdrängen. Das Gefühl, dass mir jemand den Brustkorb zuschnürt. Melancholie, Leere und Leid breiten sich von meinem Herzen aus und ergreifen von meinem Bewusstsein Besitz. Der laue Wind dieses Frühlingsmorgens weht mir in den Rücken und liebkost meinen Nacken. Am Horizont dämmert es hinter dem Wolkenschleier. Was, wenn ich einfach hier auf der Klippe sitzen bleibe und die schäumende Gischt betrachte, solange die Sonne aufgeht? Die Wolkendecke ist heute aufgelockerter als sonst. Wie schnell würde es dauern, bis das Licht mich zu Staub zerfallen lässt? Wie schmerzhaft wäre es? Was passiert mit mir, wenn ich sterbe? Bin ich dann nichts? Werde ich physisch zu dem, was ich bereits psychisch bin? Ich kann mir nicht vorstellen, nicht mehr zu existieren. Doch bin ich in der Lage mir auszumalen, dass nur mehr Leid geschieht. Dieses lange Dasein hat mich eines gelehrt: schlimmer geht immer! Wehmütig verdränge ich den Gedanken ans Sterben, obwohl ich des Lebens müde bin. Ich springe auf und verharre einen Augenblick mit den Spitzen der Schuhe angrenzend am Rande der Klippe. Das Meer peitscht gegen die Felswand und frohlockt nach mir. Ich schließe die Augen und breite die Arme aus. Tief atme ich die salzig raue Luft ein und lasse mich dann vornüber fallen. Ich stürze in den Abgrund, unkontrolliert taumelt mein Körper wie ein Geschoss hinunter, auf das Riff zu. Für den Bruchteil einer Sekunde fliegen Schmetterlinge durch meinen Bauch. Ich höre das Wasser unter mir. Jetzt spüre ich es und reiße in dem Moment meine Gestalt nach oben, als ich in die Welle eintauche. Ich schnappe nach Luft, öffne die Augen und schieße wieder hinauf in die Höhe, wobei die Flut unter mir rauschend an der Klippe bricht. Der Flugwind kühlt meinen durchnässten Körper rasch ab und während ich über die ersten Dächer der Stadt gleite, stelle ich fest, dass ich friere. Das war es mir wert. Für einen winzigen Moment habe ich wieder etwas empfunden. Etwas anderes als Banalität und Unbeteiligtheit.
Mit zu hoher Geschwindigkeit fliege ich im Wettstreit gegen die Dämmerung an. Die beginnende Morgenröte hinter mir spürend werde ich mir darüber bewusst, dass es sicherer gewesen wäre, zum Palast zurückzukehren, anstatt die Zuflucht inmitten der Stadt anzuvisieren. Wie ein vom Himmel gefallenes Klavier lande ich mit einem tosenden Knall auf dem marmornen Boden vor »Violas Blutclub«. Die Tür schließt sich gerade, ich höre die automatische Verriegelung, welche die Anwesenden vor dem hellen Tod von draußen schützen soll. Jemandem ist meine Ankunft in letzter Sekunde aufgefallen, denn der Schließmechanismus wird wieder entsperrt. Die brennende Hitze auf meiner Schulter bemerkend erhebe ich mich. Sehnsüchtig und gedankenverloren schaue ich ins Licht, doch ich werde am Handgelenk gepackt und ins Innere des Clubs gerissen. Mein Arm schmerzt und dampft gefährlich, als ich im Vorraum des Etablissements auf den Knien lande und dabei eine kleine Pfütze auf dem glänzenden Boden hinterlasse.
»Eure königliche Hoheit«, begrüßt mich eine bekannte Stimme.
Ich sehe zu meinem Retter auf – Verzeihung, meiner Retterin. Viola Valenz höchstpersönlich, die berüchtigste Vampirin von ganz Vyrydios und zudem Eigentümerin dieses Lokals. Mit ihren zarten 19 Jahren ist sie die jüngste und tüchtigste Geschäftsfrau von Nova, so viel ist sicher.
»Lady Viola«, nicke ich ihr zu, während sie eine Verbeugung andeutet.
»Habe ich Euch das Leben gerettet oder um den Tod gebracht?«, erkundigt sie sich und der Anflug eines amüsierten Lächelns gleitet über ihr markantes Gesicht mit der etwas zu hervorstechenden Nase.
Ich erhebe mich und stelle fest, dass die Heilkräfte meines Körpers bereits gegen die Verbrennung der Sonne ankämpfen.
Frierend verschränke ich die Arme: »Was mir wirklich das Leben retten würde, wäre ein warmes Bad.«
Sie blickt auf eine schier unerdenklich arrogante Art und Weise an mir herunter, betrachtet meine nassen Gewänder und schüttelt den Kopf, wobei ihre karamellbraunen schulterlangen Locken wippen: »Ihr solltet wirklich einen Umhang tragen.«
Dann rafft sie den ausladenden Rock ihres dunkelblauen Kleides und flaniert elegant an mir vorüber. Ich folge ihr unaufgefordert aus der Eingangshalle in die Dunkelheit des angrenzenden Korridors. Musik wabert mir lautstark entgegen, als die schwarze Schiebetür automatisch aufgeht und für zwei Sekunden hämmert sich der Bass in meinen Körper. Am Ende des langen Ganges befindet sich der Eingang zur Bar, in der offenbar noch wild gefeiert wird. Das laute Stimmenwirrwarr der Anwesenden lenkt mich von der Musik ab und ich benötige einen Augenblick, um mich zu sammeln. Überfahren von den vielen Stimmen, die durcheinandergehen, halte ich mich an den dunkel getafelten Wänden fest, während ich Viola die schmalen Stufen hinunter in den Keller folge.
›Ich gehöre nicht hierher, was ist das nur?‹
›Ich will nach Hause!‹
›Diese Leute machen mir Angst!‹
›Oh Gott, das ist so viel Blut!‹
Angestrengt blinzle ich und blende sie schließlich aus, bis ich weder Stimmen, noch Musik höre. Ich konzentriere mich vollkommen auf Viola, die nicht mit Bewegungen ihrer Körperrundungen geizt, während sie voraus schreitet. Sie ist ein angenehmer Anblick, doch nicht ernsthaft reizvoll. Sie führt mich in eines der schwülwarmen Badezimmer. Das in den hellen Fliesenboden eingelassene rechteckige Becken ist mit einer milchig dampfenden Flüssigkeit gefüllt. Am Ende des Raumes warten vier Sklavinnen diszipliniert in einer Reihe. Die eine hübscher als die andere, nur bekleidet mit lockeren weißen Gewändern, die an den Schultern mit goldenen Fledermausspangen zusammengehalten werden. Sie verbeugen sich etikettgetreu, da ich hereinkomme. Mir gefällt das Ambiente der Badestube, die hohe gewölbte Decke, dessen Mosaike Vampirgeschichte erzählen. Die grünen Pflanzen, welche am Rande des Raumes aufgestellt sind, erinnern mich an einen Dschungel. Eine Vegetation, die wir in Nova längst nicht mehr haben. Damals, als der Komet den Großteil der Erde zerstört hat, waren mit ihm die exotischen Wälder untergegangen. Nach Jahrzehnten sind wir allmählich in der Lage an einigen Teilen des Königreiches dafür Sorge zu tragen, dass die Natur sich erholt. Pflanzen bedeuten Leben und obwohl ich mich gar nicht lebendig fühle, liebe ich es, in ihrer Nähe zu sein. Mir ist, als könnte ich dann besser atmen. Die Sklavinnen beeilen sich um das Becken herum und zu mir zu laufen. Ich stelle gleich fest, dass mir keine von ihnen bekannt vorkommt. Das Mädchen, welches mich sonst badet, fehlt.

Ende der Leseprobe

Die Vampire von Nova: Verloren im Nichts

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