Prolog
Der versengte Hain verströmte den süß orientalischen Geruch von Amber.
Sie war hier!
Schnaubend landete ich auf der Lichtung und verschluckte das Gelände mit meinem massigen Körper. Das Absenken der ausgebreiteten Flügel auf den Rand des Waldstücks ließ die Tannen vor mir erzittern. Stille kehrte ein. Die Tiere verstummten, das Rauschen des Windes legte sich.
Zwischen ihr und mir lagen nur ihre Fährte und ein, zwei Bäume, die ich wie Zahnstocher umknicken konnte.
Die Zeit war gekommen. Es würde jetzt geschehen!
Ein Kribbeln strömte über die dunklen Schuppen meiner Gestalt, zog sich bis in die Spitzen der Rückenstacheln. Ich lächelte siegessicher und beugte den langen Hals, um zwischen den Bäumen hindurchzusehen. Ihr Geruch wurde intensiver, je näher ich mit der Schnauze dem Boden kam. Meine Kehle brannte vor Verlangen. Das Stechen meines Schweifs verstärkte sich, als ich diesen seitlich an den Flanken neben meinem Körper entlang legte. Mit einem genervten Knurren betrachtete ich den glanzvollen Speer, der sich in mein Fleisch gebohrt hatte. Mit dem Maul würde ich ihn nicht herausziehen können, ohne ihn zu zerbrechen. Ich war auf Hilfe angewiesen.
›Komm raus!‹, forderte ich sie freundlich aber bestimmt auf.
Mit gebanntem Blick ins Dunkle des Waldes horchte ich auf ihre Antwort.
»Hau ab!«, rief sie aufgebracht.
Missmutig schnaubte ich das Brennen im Rachen fort, was den Ausstoß rußigen Qualms aus meinen Nüstern zur Folge hatte.
›Nein!‹, entgegnete ich mit bedrohlichem Tonfall.
Wenn sie nicht gleich rauskam, würde ich sie mir mit Gewalt holen.
»Hayley!« Das Rufen der Suchenden hallte aus der Ferne herbei.
Ich hörte ihr tölpelhaftes Gestolper durchs Geäst, das erschöpfte Keuchen ihrer menschlichen Lungen, ich roch ihre Sorge. Die Gedanken meines Bruders versuchten unerbittlich, in meinen Geist einzudringen, um mich umzustimmen. Es fiel mir leicht, seine Telepathie abzublocken.
Sie waren bald hier. Meine Geduld hatte ein Ende. Ich hob die Klaue, um der Tanne vor mir den Garaus zu machen. Da erhaschte ich aus dem Augenwinkel eine windige Bewegung im Schatten. Sie huschte am äußersten Rand durch das Zwielicht der Bäume über die Lichtung und versuchte sich, an mir vorbei zu stehlen.
Blitzschnell ließ ich den Ausläufer meiner Schwinge direkt vor ihr zu Boden rauschen. Der Flügel breitete sich wie eine Wand zwischen meinem Körper und dem Waldesrand aus. Sie war gezwungen, scharf abzubremsen und prallte erschrocken gegen die schwarz glänzende Kralle.
Mit wütendem Gesichtsausdruck stieß Hayley sich davon ab, der Druck ihrer zarten Menschenhände fühlte sich wie ein Pulsschlag an.
»Ich hasse dich!« Sie sah trotzig zu mir auf.
Ich schärfte den Blick, um meinen Augen mehr Ausdruck zu verleihen, und schob den Kopf in ihre Richtung. Es zeigte seine Wirkung, denn ihre Schultern sackten in sich zusammen.
›Willst du deinem Bruder helfen, oder nicht?‹, drängte ich sie.
Ihr Herz pochte in ihrer Brust, die Aura flackerte aufgeregt, Unsicherheit stand ihr ins Gesicht geschrieben. Ohne es zu bemerken, sank mein Kopf und näherte sich ihr immer weiter, bis mein schwerfälliges Ausatmen ihr silberweißes Haar verwehte.
Mit glänzenden Augen nickte sie schließlich.
Ich wusste es, ich wusste, sie würde nachgeben! Ich versuchte, mir den Triumph nicht anmerken zu lassen, und deutete mit den Augen auf die Spitze meines Schwanzes, der unter dem Flügel hervorlugte.
›Der Speer, zieh ihn raus!‹
Der Suchtrupp näherte sich, die Zeit rann mir wie Sand durch die Finger. An ihrem Blick sah ich, dass sie sich telepathisch mit jemandem austauschte. Wahrscheinlich mit meinem Bruder, dem Spielverderber! Sie öffnete den Mund, als wollte sie nach ihnen rufen. Bedrohlich schnaubte ich sie an, wodurch ihr Haar flatterte und ihren verlockenden Duft verströmte. Sie hustete, da etwas Rauch mit herausgekommen war und ihre Wangen verrußte. Ich zog den Kopf zurück und ließ sie gewähren. Hayley griff beherzt nach dem Speer und stemmte einen Fuß gegen die Einstichstelle an meinem Schweif. Ihr Tritt war kaum spürbar, doch durch die Wunde unangenehm. Ich biss die Zähne zusammen und beobachtete, wie sie ihre Kräfte sammelte.
Sie blickte fragend zu mir auf und erntete einen ungeduldigen Blick. ›Jetzt mach schon!‹
Ohne lange zu fackeln, riss sie an der Lanze, was einen unsäglichen Schmerz auslöste, der sich wie tausend Nadelstiche durch den Schweif in mein Hinterteil zog. Sie schaffte es nicht, die Spitze herauszuziehen und ächzte.
Sie war so ein Schwächling!
›Zieh ihn verdammt nochmal raus!‹, wütete ich.
Ihr Geruch und der Schmerz vereinten sich zu einer qualvollen Kombination, die sich in Wut bündelte und das Feuer in meinen Lungen herausforderte. Wenn ich sie nicht bei lebendigem Leibe verbrennen wollte, musste ich bald Schnauben und das würde sie von Kopf bis Fuß verrußen.
Mit aller Kraft stemmte Hayley den Fuß gegen den Schweif, trat dabei halb auf die offene Wunde, was dem Streuen von Salz gleich kam. Mit gebündelter Energie riss sie das scheiß Ding raus und fiel rücklings mit dem Wurfspieß in der Hand auf die Wiese.
Mein Schwanz brannte wie Feuer, es war als würde ich an der Stelle unerbittlich aufgerissen, da sich das Gift durch die Bewegung weiter ausbreitete. Unkontrolliert brüllte ich auf und warf den Kopf in die Höhe, da ich nicht an mich halten konnte.
Ich spie einen Feuerstrahl in den Himmel und musste mich beherrschen, nicht davonzufliegen, um mir etwas zum Töten zu suchen.
»Da vorne!«, rief jemand aus dem Suchtrupp, der das Feuer entdeckt hatte.
Hayleys Blick folgte dem Rufen, dann sah sie mich wieder an und ich nickte ihr auffordernd zu.
Jetzt!

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